« zur Übersicht

Der Gemeindestier

 

Der Remicher Gemeindestier

 

Bei der Bestandsaufnahme in den Archiven der Remicher Gemeindeverwaltung fällt ein Posten aus den Gemeindeabrechnungen der 1840er Jahre auf, der dort unter der Sammelbezeichnung „traitement du taureau communal“ fungierte.

Die Gemeindeverwaltung hatte damals laut Rechnung vom 13. Juli 1846 einen Zuchtbullen angeschafft. Dies geschah wahrscheinlich auf Anregung der Regierung, der an der Verbesserung der einheimischen Rinderrasse gelegen war. Bei dem Bullen handelte es sich um ein Exemplar der englischen Durham-Rasse.

Mit „traitement“ war mitnichten ein „Gehalt“ für den Bullen gemeint, vielmehr ist der Begriff mit „Behandlung“ zu übersetzen. Es ging also um die Unterbringung in einem Stall, das Stroh für sein Ruhelager, eine Wiese für den Auslauf, die Fütterung mit Wasser, Gras, Heu, Rüben usw., die Entschädigung der mit seiner Haltung beschäftigten Person und die anfallenden Veterinär- und Arzneimittelkosten.

Neben den vorgenannten Unkosten brachte der Stier der Gemeindekasse auch Einnahmen, hauptsächlich durch das Sprunggeld, aber auch durch den Verkauf seines Mistes – Tiermist war damals, neben dem Hauskompost, das einzige Düngemittel für Gärten und Felder. Und schließlich behielt er seinen Wert nach Ablauf seiner Dienstzeit, wenn er dann an einen Züchter in einer entfernteren Gegend oder an einen Metzger verkauft wurde. Möglicherweise hatte auch die Regierung ein Subsid lockergemacht.

Es war die Aufgabe des Bullen, für eine möglichst große und gesunde Kälberschar zu sorgen, und die Viehhalter der Gemeinde waren bestrebt, durch die Einkreuzung seiner Eigenschaften die einheimische Rasse aufzuwerten. Seine Dienstzeit begann mit dem ersten Sprung und sollte, um Inzucht zu vermeiden, mit der einsetzenden Geschlechtsreife seiner ältesten weiblichen Nachkommen enden.

Den Namen des Remicher Durham-Bullen kennen wir nicht, das Herdbook gab es damals noch nicht. Gewusst ist aber, dass die von der luxemburgischen Regierung aus England eingeführten Stiere Namen von britischen Persönlichkeiten trugen.

Die Aktivität eines Bullen ist auf wenige Jahre beschränkt. Nach zwei Jahren kam das Aus für den Remicher Durham. Der Bulle hatte die von der Bevölkerung in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. Die Hälfte seiner Sprünge war unproduktiv geblieben. Dadurch war den Viehhaltern ein beträchtlicher Schaden entstanden. Sie verloren das Vertrauen in den Bullen, und der Gemeindekasse entstand gleichfalls ein großer Schaden. Im Jahr 1848 beschloss der Gemeinderat deshalb, die Bullenhaltung einzustellen und beim Regierungsrat die Erlaubnis anzufragen, den Titelhalter zu verkaufen. Als Kompromiss bot die Regierung einen zweiten Durham als Ersatz. Auch dieser, mit dem Namen Disraeli [nach Benjamin Disraeli (1804-1881), einem konservativen britischen Politiker, Premierminister 1869 und 1874-1880], erwies sich in jeder Hinsicht als Enttäuschung.

Die Remicher Rinderhalter verlangten daher die Rückkehr zu den einheimischen Rassen. Hierbei wurden die Kühe und die Färsen sicher nicht befragt. Sie werden es auch heute nicht, im Zeitalter der künstlichen Besamung.

Die Gemeindeverwaltung betrieb in der Folge keine Bullenhaltung in eigener Regie mehr. Eine Episode in der Remicher Stadtgeschichte war somit beendet.

Allerdings findet sich am Anfang der 1900er Abrechnungen des Gemeindeeinnehmers wieder eine Entschädigung für einen Züchter, der seinen Bullen dem Remicher Rindviehbestand zur Verfügung gestellt hatte.

______________________________________

Einige Erläuterungen

Stier/Bulle: ein geschlechtsreifes männliches Hausrind

Farre: ein junger Stier

Ochse: ein kastriertes männliches Rind jeden Alters

Kuh: ein geschlechtsreifes weibliches Hausrind, nach dem ersten Kalben

Färse: eine junge Kuh, die noch nicht gekalbt hat

Rinder werden zu verschiedenen Zwecken gehalten. Kälber, Kühe, Ochsen sind Fleischlieferanten. Farren sind so fleischig, dass sie leicht verkauft werden können und eine eigentliche Mast sich nicht lohnt. Kühe sind Milchproduzentinnen. Kühe und Ochsen dienen vielerorts noch als Zugtiere. Bullen dienen zur Zucht, und in manchen Ländern werden sie als Volksbelustigung bei Stierkämpfen und Stierhatzen missbraucht.

Durhams sind eine Fleischrasse, die hohe Ansprüche an ihr Futter stellt, so wie sie es auf den regenreichen englischen Weiden vorfindet. Als Zugtiere sind sie nur bedingt geeignet.

Die Tragezeit der Kuh dauert 284 Tage. Die weiblichen Rinder werden nach eineinhalb bis eindreiviertel Jahren geschlechtsreif.

Die Geschlechtsreife des Jungbullen beginnt mit eineinviertel Jahr. Die Zuchtfähigkeit dauert vier bis fünf Jahre. Ihre beste Zeit ist dann vorbei, und durch ihr zu hohes Körpergewicht sind sie eine Zumutung für die Färsen.

Vom Charakter her sind Kühe gutmütig, Ochsen geduldig, Bullen hingegen unberechenbar und gefährlich, und sie werden mit fortschreitendem Alter bösartig, wie von Zeit zu Zeit zu hören und zu lesen ist, wenn wieder ein unvorsichtiger Passant oder ein Züchter von einem Bullen angefallen, schwer verwundet oder gar getötet wurde.

Werden Ochsen und Stiere an der Nase geführt, so sind sie dagegen lammfromm. Deshalb bekommen sie schon im Kälberalter einen Nasenring verpasst. Dies ist das einzige Mittel, um ihre ungeheure Kraft zu bändigen.

Das Herdbook ist ein Abstammungsbuch für Rinder, Schweine und Ziegen. Rassepferde werden im Studbook eingetragen, und für Schafe gibt es das Flockbook.

 

Jean Ensch

 

Quellenangaben:

- Gemeindearchiv der Stadt Remich

- Deliberationsregister des Gemeinderates der Stadt Remich

- P. Mangold und E. Reicherter: Illustriertes Haustierarzneibuch, Reutlingen 1900

- Roger Ecker – Georges Krier in: Année 1848 – in: E Stéck Réimech, 150e anniversaire Chorale Sainte-Cécile, St-Paul 1978

______________________________________

 

Weitere Informationen:

Das Durham-Rind, eine Zuchtlinie des Shorthorn-Rinds

in: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie

https://de.wikipedia.org/wiki/Shorthorn-Rind

(abgerufen am 9.10.2018)

Ochs 2.jpg

                         Shorthorn-Kuh

                         aus: Illustriertes Haustierarzneibuch (P. Mangold und E. Reicherter), Reutlingen 1900

 

 

Kéih.jpg

 

Die heutige Remicher Gemeindekuh Nike

(Art on cows; acquéreur: Hôtel Saint Nicolas; artiste: Ivana Cekovic, 2001)

(Fotos: Carine Hensgen)

 

« zur Übersicht