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Weinbau und Weinlese

 

An den Kirmeßsonntagen, welche im Juli und August fallen, werden auf unserer Mosel den Standbildern der alsdann gefeierten Kirchenpatrone reife, oder wenigstens rothe Trauben in die Hand gegeben, so z.B. in Greiveldingen auf Jakobstag, in Wellenstein auf Annentag, in Grevenmacher auf Laurentiustag, in Ehnen und Bech-Macher auf Rochustag. Für die Winzer ist es von schlimmer Vorbedeutung, wenn diese, einen gesegneten Herbst versprechende Traube, fehlt. Diese Sitte scheint von dem alten Brauch herzurühren, den Göttern alle Erstlinge der Früchte zu verehren.

Während der ganzen Dauer der Weinlese, und besonders am Ende derselben, ging es früher recht lustig zu, namentlich in guten Weinjahren. Von allen mit dem saftigen Grün der Rebe geschmückten Bergen erschallte fortwährend fröhlicher Liederschall, und im Thale regten sich geschäftig zwischen mit Trauben beladenen Fuhrwerken heitere Menschen. Den Schluß der Weinlese beging man feierlich auf folgende Art: Auf der Spitze einer hohen Stange wurde zwischen Blumen und farbigen Bändern, von einem Traubenkranze umringt, ein lebendiger Hahn festgebunden. Der Stangenträger, ein kräftiger Bursche, hatte Weiberkleider angezogen. Deßgleichen mehrere andere Winzer, während eine gewisse Zahl Winzerinnen in Mannestracht erschienen. Alle an der Lese eines Weingutes betheiligten Arbeiter formirten darauf einen Zug. Vorne ging, als altes Weib vermummt, ein Winzer und fegte mit einem abgenutzten Besen die Straße. Ihm folgte der Hahnenträger, entweder zu Fuß oder fahrend auf dem festlich geschmückten Wagen, der die letzten Trauben heim brachte. Nun kamen paarweise alle Winzer und Winzerinnen und machten während des ganzen Marsches so viel Lärm als möglich, indem sie mit Stöcken auf allerlei starktönende Gegenstände schlugen. Nachdem sie an der Behausung des Weingutsbesitzers angekommen, trat dieser hervor und bei Hersagung nachstehenden Spruches wurde ihm der Hahn überreicht:

Wir kommen hierher gegangen,

Wir haben einen Hahn gefangen.

Der Hahn bringt euch viel guten Wein,

Wir hoffen, er wird Ihnen willkommen sein.

Eine festliche Mahlzeit vereinigte nun die ganze Gesellschaft, bei welcher Gelegenheit die fröhlichen Lieder, die während der ganzen Zeit der Weinlese gesungen wurden, eine begeisterte Wiederholung fanden. Nach Beendigung des Schmauses vergnügte man sich mit etwas primitiven Scherzen. Alle Mädchen, die an einem Rebstock eine Traube abzupflücken übersehen hatten, wurden eines nach dem andern ergriffen, auf eine Waschbank gelegt und erhielten mit einem Bläuel einen Schlag auf den Unaussprechlichen. Diese Execution nennt sich Bretsch gin (Pritsche geben). Fühlten sich die Weiber stark genug, was nach dem genossenen Getränke gewöhnlich der Fall war, so vergalten sie den Männern das Pritschegeben auf folgende Manier: Sie stellten sich, die Gesichter zu einander gekehrt, mit erfaßten Händen, in zwei gleichlaufenden Reihen auf. Die stärksten unter ihnen erwischten einen Winzer. Dieser, der Länge nach in diese lebendige Rinne gelegt, wurde beständig vorwärts in die Höhe geschoben und wieder aufgefangen, bis er am Ende der Reihe zu Boden fiel. Nachdem alle Mannspersonen, die sich nicht losgekauft hatten, auf diese Weise gehuoven, d.h. "gehoben" worden waren, endete die Feier mit Tanz.

Der Brauch, die Trauben vor dem Keltern mit den Füßen auszutreten, ist heute so zusagen ganz verschwunden, da diese Arbeit rascher und besser durch sogenannte Traubenmühlen bewerkstelligt wird. Schon Karl der Große hatte das Austreten der Trauben mit den Füßen untersagt.

Weinen, die sich durch ihre schlechte Qualität auszeichnen, ertheilt das Volk aus irgend welchem Grunde einen besondern Namen. K a u n i t z e r (1782) und B a t z k o sind Benennungen, die sich aus der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts bis heute erhalten haben. Beide sind Familiennamen von Inhabern zweier, einst in Luxemburg garnisonirender, österreichischen Regimenter, deren Mannschaften, des geringen Preises wegen, zwei ausnahmsweise saure Crescenzen fast ausschließlich getrunken haben sollen. Der 1841er Wein trug den Namen eines mißliebigen Regierungspräsidenten des Großherzogthums Luxemburg; der 1860er und 1866er, die von europäischen Berühmtheiten, und den 1863er nannte man Knuot (Knoten), weil dieses Produkt dem Trinker die Kehle gleichsam mit einem Knoten zusammenschnürte. Bis jetzt ist letztere Benennung auf alle nachfolgenden schlechten Sorten übertragen worden.

In unserem Dialekt ist heute die Benennung für Wein fast allgemein dieselbe wie im hochdeutschen. Früher sagte man statt Wein, Wéng, ein Ausdruck, der noch hie und da vorkommt. Für das Diminutiv Weinchen behauptet sich ausschließlich der Ausdruck des alten "Wéngchen"; deßgleichen erscheint Wéng noch in manchen anderen Wörtern, z.B. in Wéngkof = Weinkauf, in Wéngerter = Winzer und in allen Zusammensetzungen mit Wéngert = Weingarten.

Während unser Weinbau sich jetzt auf die Mosel, die Sauer und die Our beschränkt, war er früher, mit Ausnahme des Öslings oder der Ardennen, über das ganze Land verbreitet. Wenn wir auch diese Thatsache nicht in alten Urkunden festgestellt fänden, so würde dieselbe aus den Flurnamen hervorgehen; denn Bezeichnungen, wie "Am Wéngert", trifft man in Gegenden an, wo selbst das Gedächtniß an eine Weinkultur dem Volke entschwunden ist.

Daß es die Römer waren, welche die ersten Reben auf unsern Bergen pflanzten, habe ich bereits angemerkt.

 

Edmond de la Fontaine [genannt Dicks] (1823-1891)

Aus: Edmond de la Fontaine: Luxemburger Sitten und Bräuche. Neue illustrierte Ausgabe. 2. Auflage. Editions J.-P. Krippler-Muller, Luxembourg 1985.

Die Originalausgabe erschien 1883 bei Jos. Beffort, Luxemburg.

 

 

Am Wéngert (Photo Fiedler).jpgAm Wéngert zu Réimech (Foto: Fiedler; Sammlung: Sylvie Schaack) Photo295.jpgAm Wéngert zu Bech-Maacher (Sammlung: Jean Rock) Photo284.jpgAm Wéngert zu Bech-Maacher (Sammlung: Léonce a Romain Mondloch)
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